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Als am 1. November 2011 der Lindenauer Bürgerverein, die Deutsche Stiftung für Denkmalschutz und der Leipziger Kabarettist Meigl Hoffmann erstmals in der Presse vor dem geplanten Abriss des Gebäudes Jahnallee 61 warnten, in dem am 18. April 1945 Robert Capas Bild „Last Man to Die – Der letzte Tote des Krieges“ entstand, war der Grundstein für eine bemerkenswerte Bürgerinitiative gelegt. Neben dem Erhalt des Hauses stand anfangs auch die Frage nach der Identität des Toten, des genauen Ortes und der Umstände der Entstehung des Bildes im Fokus der Aufmerksamkeit.

Die Bürgerinitiative – v.l.n.r.: Christoph Kaufmann, Ulf-Dietrich Braumann, Meigl Hoffmann, Thomas Pantke, Harald Alff, Thomas Eigler, Volker Külow, Alina Cyranek, Andreas Tümmler

Bereits im Jahr 2010 hatte der Leipziger Historiker und Angehörige des Lindenauer Bürgervereins Dr. Volker Külow anlässlich einer Ausstellung zum 65. Jahrestages des Kriegsendes das Bild gezeigt. Seine Bemühungen, etwas über den Toten zu erfahren, blieben jedoch erfolglos. Im Frühjahr 2011 rückte das Bild dann ein weiteres Mal als Teil der Fotoschau „Leipzig. Fotografie seit 1839“ in das Zentrum des Interesses. Aber erst ein Zeitungsartikel von Jens Rometsch von der Leipziger Volkszeitung zu den Bemühungen um die Rettung des Hauses brachte dann Anfang November 2011 endlich einen ersten Erfolg bei der Klärung der Fragen zu dem Bild. Ein gebürtiger Leipziger meldete sich bei der Redaktion der Zeitung und identifizierte die Wohnung im 2. Stock des Hauses Jahnstraße 61 (ehemals Frankfurter Straße 39) als elterliche Wohnung. Robert Petzold befand sich als Kind zum Zeitpunkt der Aufnahme im Haus. In der Zwischenzeit gelang es auch dem Mitarbeiter des Städtischen Museums, Christoph Kaufmann, die Petzold’sche Wohnung als Ort der Entstehung des Bildes zu lokalisieren. Dann ging es Schlag auf Schlag. Eine Sonntagsmatinee im Revue-Theater „Am Palmengarten“ am 27. November 2011 unter Beteiligung von Meigl Hoffmann, Christoph Kaufmann und Dr. Külow fand ein großes Medieninteresse. Der darauf folgende Artikel des Leipziger Journalisten Jens Rometsch machte die Initiative dann endgültig bekannt. Die Geschichte nimmt Fahrt auf.

Robert Petzold
Robert Petzold neben der Originaluhr, die auch auf Robert Capas Fotos zu sehen ist

Nach einem Hinweis von Kaufmann wendet sich am 29. November 2011 Dr. Külow an den Militärhistoriker und Buchautor Jürgen Möller und bittet um Unterstützung bei der Suche nach der Identität des Toten und den Hintergründen der Entstehung des Bildes. Dessen Interesse war bereits durch den Hinweis des ehemaligen Journalisten Andreas Tümmler, der Möller bei seinen Recherchen zum Buch „Kriegsschauplatz Leipziger Südraum“ unterstützt hatte, geweckt. Damit beginnt eine intensive Phase der Recherchen, die sich auf die U.S.A. ausdehnen und letztendlich aus der regionalen Bürgerinitiative eine deutsch-amerikanische Initiative machen.

Am 1. Dezember 2011 erfährt das Mitglied der Bürgerinitiative, Prof. Dr. Ulf-Dietrich Braumann von der Universität Leipzig, von dem, von ihm ausfindig gemachten, Ingenieur Brent McClearen aus Cookeville, Tennesee, U.S.A. den Namen eines Zeitzeugen. Es handelt sich um den Veteranen Lehman Riggs, der der 3. Mann am Maschinengewehr des Gefallenen aus Leipzig war. Riggs war 2010 im dortigen Regionalfernsehen aufgetreten und hatte über seine Erlebnisse in Leipzig berichtet. So kommt es am 11. Dezember 2011 zum Treffen eines Kollegen von McClearen, Jon Overholt, mit Riggs. Von ihm erfährt er den vermeintlichen Namen des Toten – Robert Bowman.

Doch es gibt Unklarheiten. Möller, der in der Zwischenzeit mit den Recherchen im Internet und in den amerikanischen Militärunterlagen begonnen hat, kann keinen Robert Bowman finden. Am Heiligabend 2011 stößt Möller dann auf einer amerikanischen Webseite auf einen kleinen Bericht, der von dem Tod eines Raymond J. Bowman am 18. April 1945 in Leipzig berichtet. Mit diesem Namen gelingt es ihm, in kurzer Zeit die Unterlagen des Gefallenen, den Ort seiner Bestattung und Hinweise auf die noch lebende Nichte Joan Frost zu finden. Das, was Bowman‘s Familie bereits seit 1945 weiß, erfährt jetzt auch die ganze Welt. Das Rätsel ist gelöst, der Tote auf dem Capa-Foto hat einen Namen und ein Gesicht.

Aber damit ist das Gebäude noch nicht gerettet. Fast beendet ein Brand im angrenzenden Gebäude der Luppenstraße 28 in der Silvesternacht 2011/12 die Bemühungen um den Erhalt. Doch er hat auch einen positiven Effekt. Der Kampf um den Erhalt des Gebäudes tritt weiter ins Schlaglicht der Medien. Aus dem regionalen wird ein überregionales Interesse. Eine deutsch-amerikanische Petition der Bürgerinitiative an den Oberbürgermeister der Stadt Leipzig fordert am 3. Januar 2012 „dieses wichtige Gebäude im Interesse zukünftiger Generationen als Mahnmal gegen den Krieg zu retten.“ Jetzt wird das Thema von den großen Zeitungen aufgegriffen. Die Süddeutschen Zeitung, die Frankfurter Allgemeine, der Berliner Zeitung, die Bild-Zeitung, Die Welt und Die Zeit berichten. Auch das Fernsehen nimmt sich des Themas an. ARD und MDR berichten. Am 1. Februar 2012 ist es dann so weit, dass die Stadt Leipzig offen bekundet, das Gebäude vor dem Einsturz retten zu wollen. Der Baubürgermeister von Leipzig erklärt das Haus zur Chefsache.

Aber das Haus droht einzustürzen. Abriss oder Renovierung ist die Frage, die sich allen Beteiligten stellt. Immer mehr Interessierte schließen sich der Initiative an und leisten ihren Beitrag, um weiter Druck aufzubauen für den Erhalt des Hauses als Teil der Stadtgeschichte und als Symbol für Frieden: Der Foto-Künstler Thomas Pantke, Casus Campari, der die Online-Dokumentation anstieß und die Filmemacherin Alina Cyranek, die gemeinsam mit Jan Frederik Vogt den Film „Fading“ über die Ereignisse am 18. April 1945 im Capa-Haus dreht.

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Jan Frederk Vogt und Alina Cyranek beim Dreh von „Fading“ im Capa-Haus

Den nächsten Höhepunkt erlebt die Initiative mit dem Besuch von Lehman Riggs in Leipzig im April 2012 auf Einladung des MDR. Er wird vom Leipziger Oberbürgermeister und dem amerikanischen Generalkonsul in Leipzig empfangen. Im Interview mit Rometsch sagt er: „Es ist wichtig, den heute jungen Menschen von den Schrecken des Krieges zu erzählen. Wie wertvoll es ist, im Frieden zu leben. Deshalb habe ich die Einladung nach Leipzig gern angenommen. Deshalb sollte dieses Haus erhalten bleiben.“ Riggs Besuch und seine Geschichte, und somit die Geschichte des Capa-Hauses, sind dann am 8. Mai 2012 Inhalt der Dokumentation des MDR „Hitlers letzte Opfer“ von Karoline Kleinert. Niemand kann jetzt mehr an dem Thema vorbei, ohne in den Fokus des öffentlichen Interesses zu kommen.

Noch vielen bangen Momenten und dem mehrfach erfolgten Wechsel der Hauseigentümer ist es nach zwei Jahren Kampf im Frühjahr 2014 endlich soweit, dass Baumaßnahmen am Haus begonnen wurden. Das Haus, das inzwischen als Capa-Haus bekannt geworden ist, soll erhalten bleiben. Doch erst, wenn eines Tages wieder Leben in das Haus zurückkehrt und eine Stele oder Tafel an die Bedeutung des Hauses als Mahnmal für den Frieden erinnert, haben sich alle Anstrengungen gelohnt.

Diejenigen, die momentan meinen, dass diese Bemühungen übertrieben sind und es schon genug Denkmäler gibt, denen wird hoffentlich eines Tages bewusst werden, wie wichtig der Erhalt eines jeden noch existierenden Ortes unserer Geschichte ist. Sie sollen uns immer daran erinnern, das an vielen dieser Orte dafür gestorben und gelitten wurde, damit wir heute im Frieden und Freiheit leben können.

Text: Ulf-Dietrich Braumann
Fotos: Alina Cyranek

Lehman Riggs
Lehman Riggs am 17. April 2016

Citizens’ Initiative
The seeds of a remarkable citizens’ initiative were sown on 1st November 2011 when the Lindenauer civic association, the German foundation for the historic preservation of monuments and the Leipzig cabaret artist Meigl Hoffmann first warned in the press about the planned demolition of Jahnallee 61, the building where on 18th April 1945, Robert Capa took his famous photograph „Last Man to Die – the last death of the war“. Initially, as well as the preservation of the house, there were questions about the identity of the dead soldier, the exact location of the photograph, and the circumstances surrounding its origin.

There had already been an exhibition in 2010 by the Leipzig historian and member of the Lindenauer civic association, Dr Volker Külow, for the 65th anniversary of the end of the war. His efforts to find out more about the dead soldier had been unsuccessful. In Spring 2011 the picture was once again the focus of attention, appearing in an exhibition named „Leipzig. Photography since 1839“. It was not until November 2011, when an article by Jens Rometsch appeared in the Leipziger Volkszeitung newspaper, that success was achieved regarding questions surrounding the picture. A person born in Leipzig had contacted the editors of the newspaper and identified the apartment (then his childhood home) as being on the second floor of Jahnstrasse 61, formerly Frankfurter Straße 39. Robert Petzold had been in the building when the photograph was taken. In the meantime, Christoph Kaufmann of the City Museum had also been able to locate the photograph’s origin as the Petzold apartment. Things began to happen quickly. A matinee performance on Sunday 27th November at the Revue-Theatre „Am Palmengarten“ with appearances from Meigl Hoffmann, Christoph Kaufmann and Dr. Külow garnered great media interest. A subsequent article by the Leipzig journalist Jens Rometsch ensured that finally, the initiative had become well known. Momentum was building.

On 29th November 2011 following the advice of Kaufmann, Dr Külow contacted the military historian and author Jürgen Möller, asking for help regarding the identity of the dead soldier and the background to the photograph. His interest had already been piqued by information from former journalist Andreas Tümmler, who had supported Möller with research for his book „Krigsschauplatz Leipziger Südraum”. There began an intensive phase of research that would stretch across the Atlantic and eventually transform the regional citizen’s initiative into a German-American endeavour.

On 1st December 2011, initiative member Prof. Dr. Ulf-Dietrich Braumann from Leipzig University found Brent McClearen, an engineer from Cookeville, Tennesee, U.S.A, who could give him the name of a contemporary witness. It was veteran Lehman Riggs, the third member of the machine-gun team. Riggs had appeared on regional news in the U.S.A in 2010 and talked about his experiences in Leipzig. On 11th December 2011, Riggs met with Jon Overholt, a colleague of McClearen and told him the name of the dead soldier – Robert Bowman.

There was uncertainty. Möller, who in the meantime had begun to research military documents online, was unable to find a Robert Bowman. On Christmas Eve 2011, Möller stumbled upon a short report on an American website which described the death of Raymond J. Bowman on 18th April 1945 in Leipzig. With this name he was able to quickly find the documents of the fallen man, the place of his burial and directions to a living niece, Joan Frost. That which Bowman’s family had known since 1945 would now be known to the whole world. The puzzle was solved, the dead soldier in the Capa-photograph had a name and a face.

The building, however, was still not saved. A fire on New Year’s Eve 2011/12 in a neighbouring building nearly ended the efforts to preserve it. But it also had a positive effect – the struggle to protect the building returned to the media spotlight. What had been of regional interest became national. A German-American petition started by the citizens’ initiative called for the “rescue of this important building as a memorial against the war in the interests of future generations”. Now major newspapers picked up the story. The Süddeutsche Zeitung, the Frankfurter Allgemeine, the Berliner Zeitung, Bild, Die Welt and Die Zeit all reported on it. Even television shows ARD and MDR ran stories. On 1st February 2012 the city of Leipzig made a public statement declaring their wish to save the building from collapse. The director of city planning made it a top priority.

But the building threatened to collapse at any moment. Demolition or renovation was the question on everyone’s lips. More and more interested people joined the citizens’ initiative and made contributions, increasing the pressure to save the building as part of the city’s history and as a symbol of freedom: Photographer-Artist Thomas Pantke, Casus Campari, who initiated online documentation, and Alina Cyranek, who together with Jan Frederik Vogt filmed in the Capa-Haus, creating the film “Fading” which reconstructs the events of 18th April 1945.

The next highlight for the initiative would be a visit to Leipzig by Lehmann Riggs, who was invited by the MDR television channel. The Mayor and the US Consul General in Leipzig received him. In an interview with Rometsch, he said “It is important, to explain to the young people of today about the horrors of war. How valuable it is, to live in peace. That is why I accepted the invitation to Leipzig. That is why this building should be preserved.” Riggs’ visit, his story and the story of the Capa-Haus became part of an MDR documentary by Karoline Kleinert on 8th May 2012 entitled “Hitler’s last victim”. No longer could anyone avoid the issue without becoming a focus of public interest.

Many more anxious moments and repeated changes of ownership took place before building work finally began in Spring 2014. The building, which had by now become well known as the Capa-Haus, should be preserved. But only when life returns to the building and a plaque reminds us of its status as a memorial for peace, will all these efforts have been worthwhile.

Those who, for the time being, see these efforts as excessive, and that there are already enough memorials, will one day hopefully come to realize the importance of preserving each and every existing place where our history has happened. They should always remind us that many of these places have been suffered for and died for, in order that today, we may live in peace and freedom.

Text: Ulf-Dietrich Braumann
Photos: Alina Cyranek
Translation: Anna Schüler